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Info 2575: Unser Lebensraum

Juli/August-Ausgabe 2021

Hitzesommer im Dorf
Hans Spielmann, Quelle: Pro Natura 2/2021 März, Text von Andrea Haslinger, gekürzt

Siedlungen sind Wärmeinseln. Die versiegelten Flächen und Gebäude absorbieren die Sonnenstrahlung und heizen die Umgebung auf. Kühlende Grünflächen sind Mangelware und Winde können wegen der Gebäude nur ungenügend zirkulieren. Dadurch ist es im Dorf im Sommer am Tag und in der Nacht spürbar wärmer als im umliegenden ländlichen Raum. Mit der starken Zunahme von Hitzetagen, Tropennächten sowie von Starkregen und Trockenperioden werden wir – Mensch und Natur – gleichermassen leiden.

In Zukunft sollten wir das gesamte Dorf mit den Gebäuden, Strassen und Infrastrukturen als Landschaft behandeln, bei der die Aussenräume das grüne Gerüst bilden, in das die Gebäude und Verkehrswege integriert werden.

Bäume Bäume Bäume!
Bäume beschatten Flächen und wirken so der Aufheizung versiegelter Flächen und Fassaden entgegen. Mit ihrem tief in den Boden reichenden Wurzelsystem haben sie auch in Trockenperioden noch Zugang zu feuchten Bodenschichten und können durch die Verdunstung aktiv die Umgebung kühlen. Gute Kühler sind alte Laubbäume mit grossen Kronen. Mit ihrer Grösse sind sie auch ein wichtiger Lebensraum zahlreicher Tier- und Pflanzenarten.
Bäume entfalten ihr Potenzial erst nach Jahrzehnten, deshalb ist es wichtig, den bestehenden Baumbestand gut zu schützen und zu pflegen – Zeit ist nicht ersetzbar! Ergänzend sind neue Bäume zu pflanzen und Voraussetzungen zu schaffen, dass sie alt und gross werden können.

Wasser zurückhalten
Statt Regenwasser von Dächern, Strassen und Plätzen auf kürzestem Weg via Kanalisation abzuführen, sollte so viel Wasser wie möglich zurückgehalten, gespeichert und erlebbar gemacht werden. Auf entsiegelten Flächen kann Regenwasser vor Ort versickern und in Hitzephasen wieder verdunsten, wodurch die Umgebungstemperatur gekühlt wird. Begrünte Dächer, Rückhalteanlagen und offene Gewässer dienen als Zwischenspeicher von Niederschlägen. Dadurch steht in Trockenphasen der Vegetation mehr Wasser zur Verfügung und die Gestaltung vielfältiger Lebensräume wird möglich. Insbesondere Feuchtbiotope fördern die Biodiversität und schaffen Rückzugsraum für Arten, die kühlere Standorte bevorzugen.

Flächen entsiegeln
Unzählige Flächen sind versiegelt, obwohl dies für ihre Funktion unnötig ist. Das Potenzial für die Schaffung neuer Lebensräume und die Versickerung von Wasser durch Entsiegelung von Parkplätzen, Wegen, Innenhöfen, Schulplätzen ist enorm. Unterbauten wie Tiefgaragen sollten nur unter Gebäuden angebracht werden. Selbst wenn unterirdische Bauten überdeckt und begrünt werden, kann auf ihnen kein Wasser versickern und kein grosser Baum gedeihen.
Zukunftstaugliche Lebensräume sind lebensfähig und müssen nicht mit viel Aufwand am Leben erhalten werden. Das heisst für die Gestaltung von Freiräumen: mehr lebendige Wiesen statt monotoner Rasen, mehr Ruderalflächen statt Schottergärten, mehr wilde Hecken statt Lorbeer und Glanzmispel. Ein Mix verschiedener Lebensräume und pro Lebensraum viele verschiedene einheimische Arten helfen, Risiken zu streuen und Freiräume widerstandsfähig zu machen.

Gebäude begrünen
Natur darf sich nicht nur auf Pärke, Strassenborde und Gärten beschränken. Begrünte Dächer ersetzen Lebensräume am Boden zwar nicht, sie können aber durchaus artenreich gestaltet werden und für Arten magerer Standorte attraktiv sein. Gründächer helfen zudem, Abflussspitzen zu brechen. Auch Fassadenbegrünungen halten Regenwasser zurück und kühlen durch die Verdunstung ihre Umgebung. Sie machen Siedlungen attraktiv und bieten Tieren Versteck und Nahrung.
Ein Verbund von grossen Grünflächen, kleinen Trittsteinbiotopen vernetzt mit grünen Korridoren entlang von Strassen, Hecken, Alleen und Gewässern sorgt durch Beschattung, Verdunstung und Frischluftzufuhr aus dem Umland für Kühlung. Dieses Puzzle macht den Siedlungsraum für verschiedene Arten durchgängig, lässt sie die naturnahen Flächen besiedeln und bildet so das grüne Gerüst, das wir für lebenswerte Zukunftsstädte dringend benötigen.

Nebenbei:
Wer möchte, dass es im eigenen Garten mehr flattert und krabbelt, darf sich bei der schweisstreibenden Gartenarbeit etwas zurückhalten. «Leben und leben lassen» heisst die Devise. Pflanzen Sie vor allem einheimische Sträucher und Wildblumen. Denn Schmetterlinge fliegen nur, wenn der Tisch reich gedeckt ist. Pflanzen wie Wilde Möhre, Flockenblume, Kartäuser-Nelke und Hecken mit Weiden, Schwarzdorn und Schneeball verwandeln jeden Garten in ein Paradies für Schmetterlinge. https://www.pronatura.ch/de/schmetterlingsfreundliche-gaerten

Juni-Ausgabe 2021

Der Beweis
Hans Spielmann, Quellenangabe am Textende

«Mission B – für mehr Biodiversität» ist nicht bloss erfunden worden, um eine Fernsehsendung zu produzieren. Alle, welche Einfluss haben auf Vegetationsflächen, müssen handeln – jetzt, unablässig und unabhängig von Parteizugehörigkeit oder Gesinnung.

Klar, nicht jede und jeder weiss auf Anhieb, welche Pflanzen nützlich sind und welche nicht oder gar schädlich für Insekten. Aber man kann sich erkundigen, sich schlau machen. 

Leider werden nichtheimische Pflanzen für das Siedlungsgebiet immer noch von Gärtnerinnen und Gärtnern, von Gartencentern und Baumschulen empfohlen. Interesse und die Bereitschaft, sich für die Belange der Insekten einzusetzen, fehlen vielfach. Gedankenlos werden weiterhin Kirschlorbeer, Glanzmispel (aktuelle Modepflanze), Thuja und Forsythien in rauen Mengen eingepflanzt. Die einen verdrängen wertvolle, standortgerechte Pflanzen, andere sind für Insekten schlicht wertlos. 

Pflanzen wie Sommerflieder oder Kanadische Goldrute finden immer noch viele Liebhaber, welche stets behaupten, sie würden rechtzeitig die Samenstände abschneiden – ausnahmslos fand ich bei meinen Kontrollgängen noch ausgereifte Samen. Es ist unbestritten, dass diese Pflanzen viele Schmetterlinge und Insekten anziehen, aber sind sie deswegen auch sinnvoll?

Endlich haben wir nun darüber eine wissenschaftlich fundierte Meta-Studie. Hier ein Textausschnitt aus einer Veröffentlichung der Yale University USA:

Der Einfluss eingeführter Pflanzen auf die einheimische Artenvielfalt hat sich in der Ökologie zu einem wichtigen Thema entwickelt. Jüngste Forschungsergebnisse liefern neue Beweise, dass die Vertreibung einheimischer Pflanzengemeinschaften die Hauptursache für den Zusammenbruch der Insektenpopulationen ist und damit auch für Minderungen in der Vogelwelt. Eine Bedrohung auf der ganzen Welt ist der Ersatz einheimischer Pflanzen durch nichteinheimische Vegetation.

Zu behaupten, nichteinheimische Pflanzen seien keine Bedrohung für die biologische Vielfalt, ist Unsinn. 

69 Prozent der Raupenarten weltweit können sich nur auf einer einzigen Pflanzenfamilie entwickeln. Angesichts derart eingeschränkter Ernährung liegt es nahe, dass die Verdrängung einheimischer Pflanzen durch nichteinheimische Arten überall tiefgreifende Auswirkungen auf die Populationen pflanzenfressender Insekten hat. Die Studie beweist, dass durch invasive Pflanzenarten, die wir in unsere Grünanlagen pflanzen, die Insekten abnehmen.

Fast alle Singvögel ziehen ihre Jungen mit Insekten auf. Wenn es immer weniger Insekten gibt, gibt es auch immer weniger Vögel. In Anlagen, in welchen nichteinheimische Pflanzen dominieren, gab es 1,5 Mal weniger Eier und die Vogelbruten sanken gar um 60%.

Sind also nichteinheimische Pflanzen schlecht? Definitiv ja.

Also, worauf warten wir noch? Entfernen wir die invasiven Pflanzen und nach und nach auch die unnützen (nichteinheimischen), die wir durch wertvolle (heimische) ersetzen. Zudem lassen wir alles noch ein bisschen verwildern, damit sich auch noch die Igel, Molche, Blindschleichen und Wespenspinnen wohlfühlen!

Quellenangabe: 

Artikel im Turmfalken Nr. 62 (Mitteilungsorgan Natur- und Vogelschutz 
Kt. Bern) von Peter Lüthi, www.stolz-naturgarten.ch, 031 934 36 38. Planung, Gestaltung und Unterhalt von NATUR-Gärten und -Landschaft.


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